Wertpapierleihe bei ETF: Welches Risiko gehen Anleger ein?
Was macht der Emittent mit den Wertpapieren, die in einem ETF enthalten sind? Bei einer physischen Replikation kann er mit der Wertpapierleihe die Performance verbessern. Er verleiht die im abgebildeten Index gelisteten Wertpapiere. Mit welchem Risiko ist das für die Anleger verbunden?
Was ist die Wertpapierleihe?
Entscheidest Du Dich für die Investition in einen ETF, kannst Du zwischen physisch und synthetisch replizierenden Fonds wählen. Repliziert ein Fonds synthetisch, geht der Emittent ein Tauschgeschäft mit einem Geldinstitut ein. Diese Fonds werden auch als Swaps bezeichnet. Die im Index abgebildeten Wertpapiere erwirbt der Emittent des ETFs also nicht direkt. Anders sieht es bei einer physischen Replikation aus. Repliziert der Fonds vollständig physisch, muss der Emittent alle im Index gelisteten Wertpapiere erwerben. Bei einer physischen Replikation durch Sampling erwirbt der Emittent nur ausgewählte Wertpapiere.
Der Emittent nimmt von Zeit zu Zeit eine Anpassung vor, um die Wertentwicklung des Indexes möglichst genau nachzubilden. Eine weit verbreitete Praxis bei institutionellen Investoren wie den Emittenten von ETFs oder aktiven Fondsmanagern von Investmentfonds ist die Wertpapierleihe. Der Emittent oder Fondsmanager verleiht Wertpapiere, die im Fonds enthalten sind, an einen Leihnehmer. Der Leihnehmer muss ihm dafür während der Leihperiode Sicherheiten überlassen und am Ende der Leihperiode eine Leihgebühr bezahlen. Nun fragst Du Dich sicher, wie es um das Risiko für den Anleger steht, beispielsweise, wenn der Leihnehmer insolvent wird und die ausgeliehenen Wertpapiere nicht mehr zurückgeben kann. Blackrock (iShares), das Flaggschiff unter den ETF-Emittenten, nimmt die Wertpapierleihe regelmäßig im großen Stil vor.
Das Ziel besteht darin, für die ETFs eine bessere Performance zu erhalten. Der Emittent oder Fondsmanager verfolgt mit der Wertpapierleihe (WPL) drei grundlegende Ziele:
- Verbesserung der Rendite durch zusätzliche Erträge
- Kosten für den Fonds (Gesamtkostenquote) gering halten
- Kurs des Index möglichst übertreffen.
Wie funktioniert die Wertpapierleihe?
Bei der Wertpapierleihe verleiht der ETF-Emittent eines oder mehrere im ETF enthaltene Wertpapiere über eine begrenzte Dauer an einen Leihnehmer. Das erfolgt zumeist nur über wenige Tage. Um das Risiko für sich selbst und für die Anleger so gering wie möglich zu halten, verlangt der Emittent vom Leihnehmer über die Dauer der Überlassung Sicherheiten. Bei einem ETF nach den UCITS-Richtlinien muss die Sicherheit mindestens 105 oder 110 Prozent der überlassenen Wertpapiere betragen. Zusätzlich muss der Leihnehmer am Ende der Leihperiode eine Leihgebühr an den Emittenten zahlen. Um das Risiko möglichst gering zu halten, wird der Leihnehmer gründlich überprüft. Darüber hinaus erfolgt eine tägliche Neubewertung dieser Sicherheiten. Es ist rechtlich vorgeschrieben, dass der Leihnehmer dem Emittenten Sicherheiten überlässt. Das Risiko für die Anleger und auch für den Emittenten des Fonds wird damit geringer. Wird der Leihnehmer insolvent, kann der Emittent des Fonds die überlassenen Sicherheiten verkaufen. Möglicherweise entstandene finanzielle Verluste können durch den Verkauf dieser Sicherheiten ausgeglichen werden.
Als Leihnehmer treten andere institutionelle Investoren auf, beispielsweise Manager von Hedge-Fonds. Von der Wertpapierleihe hat auch der Leihnehmer seinen Nutzen. Er nimmt quasi einen Leerverkauf vor, da er Wertpapiere verkauft, die er gar nicht besitzt. Er verkauft diese Wertpapiere zu einem Kurs, mit dem er einen Gewinn erzielt. Damit der Leihnehmer tatsächlich einen Nutzen von der Wertpapierleihe hat, spekuliert er darauf, zu einem späteren Zeitpunkt die ausgeliehenen Wertpapiere günstiger zurückzukaufen und an den Emittenten zurückzugeben. Dividenden oder Zinserträge, die während der Leihzeit für das entliehene Wertpapier anfallen, muss der Leihnehmer an den Emittenten überweisen.
Sicherheiten bei der Wertpapierleihe
ETF-Emittenten wie Blackrock (iShares), aber auch Manager von Investmentfonds würden keine Wertpapierleihe vornehmen, wäre das Risiko für sie selbst und für die Anleger zu groß. Sie müssen sich also mehrfach absichern, was sie mit Sicherheiten erreichen, die ihnen der Leihnehmer überlässt. Diese Sicherheiten sollen das Risiko eines Zahlungsausfalls minimieren. Im juristischen Sinne handelt es sich bei der Wertpapierleihe um einen Sachdarlehensvertrag. Fast immer sind die Sicherheiten, die der Emittent vom Leihnehmer erhält, wertstabiler als die ausgeliehenen Wertpapiere.
Die ausgeliehenen Wertpapiere als Leihsache und die überlassenen Sicherheiten werden täglich überprüft. Zumeist erfolgt diese Überprüfung automatisch. Nun kann es passieren, dass am Ende eines Tages die Besicherungsquote unter die Mindestquote von 105 bis 110 Prozent der ausgeliehenen Wertpapiere fällt. Um die geforderte Sicherheit weiterhin zu gewährleisten, muss der Leihnehmer am nächsten Tag weitere Sicherheiten leisten oder einen Teil der entliehenen Wertpapiere zurückgeben.
Für ETF-Anleger ist ein negativer Markttrend nachteilig, da er zu Verlusten beim ETF führen kann. Der ETF selbst ist volatiler als die Sicherheiten, die der Leihnehmer dem Emittenten überlassen muss. Daher erhöht sich das Ausmaß der Übersicherung, was für den Anleger positiv ist.
Die Gebühren für die Wertpapierleihe, die am Ende der Leihzeit vom Leihnehmer an den ETF-Emittenten zu zahlen sind, fallen umso höher aus,
- je geringer die Liquidität des verliehenen Wertpapiers ist
- je weniger Trades erfolgen
- je mehr Leerverkäufe allgemein für das Wertpapier vorgenommen werden.
Der Leihnehmer haftet mit seinem gesamten Vermögen für die Rückgabe der Wertpapiere. Der Emittent hat auf die ihm übergebenen Sicherheiten unmittelbaren Zugriff. So wird das Risiko für den Emittenten und die Anleger gering gehalten. Für die Sicherheiten, die der Leihnehmer an den Emittenten übergeben muss, gelten verschiedene Vorschriften, um das Risiko zu minimieren. Als Sicherheiten sind nur bestimmte Arten von Wertpapieren zugelassen. Das können beispielsweise
- Staatsanleihen der G10-Staaten
- Unternehmensanleihen mit einer Bonität von mindestens A+
- Aktien aus anerkannten OECD-Märkten
sein. Der Anteil der verliehenen Wertpapiere darf nur eine bestimmte Höhe haben. Die Sicherheiten müssen bei einer Konto- oder Depotstelle verwahrt werden, für die ebenfalls bestimmte Vorschriften gelten.
Ablauf der Wertpapierleihe
Die Wertpapierleihe läuft ungefähr folgendermaßen ab:
- Der Leihnehmer stellt eine Anfrage an den ETF-Emittenten, sich ein bestimmtes Wertpapier auszuleihen. Ist der ETF-Emittent einverstanden, werden zu leistende Sicherheiten vereinbart, bei denen es sich zumeist um Aktien oder Staatsanleihen handelt.
- Der Leihnehmer übergibt die Sicherheiten an den Emittenten und bekommt im Gegenzug die gewünschten Wertpapiere.
- Zugunsten des ETFs erfolgt eine separate Verwahrung der Sicherheiten, unabhängig von den Vermögenswerten des ETFs.
- Der Leihnehmer muss Dividenden oder Zinserträge für das Wertpapier, die während der Leihzeit anfallen, an den ETF-Emittenten überweisen.
- Der Leihnehmer gibt am Ende der Leihperiode das geliehene Wertpapier zusammen mit einer Leihgebühr an den ETF-Emittenten zurück.
- Der Emittent gibt dem Leihnehmer die von ihm überlassenen Sicherheiten zurück.
Risiken der Wertpapierleihe
Der Leihnehmer muss Sicherheiten an den ETF-Emittenten übergeben. Da dafür verschiedene Vorschriften gelten, mag vielleicht der Eindruck aufkommen, dass für den Emitttenten und für die Anleger kein Risiko besteht. Der Emittent erhofft sich durch die Wertpapierleihe niedrigere Kosten und will möglichst den Kurs des Index übertreffen. Ein Risiko kann für den Emittenten und für die Anleger nicht vollständig ausgeschlossen werden. Die Wertpapierleihe ist gleich mit mehreren Risiken verbunden:
- Insolvenz des Leihnehmers
Das für den Emittenten und den Anleger größte Risiko besteht darin, dass der Leihnehmer insolvent wird. Der Leihnehmer kann dann die ausgeliehenen Wertpapiere nicht mehr an den Emittenten zurückgeben. Der Emittent muss die ihm überlassenen Sicherheiten verkaufen, um den Schaden auszugleichen. Voraussetzung dafür ist, dass die überlassenen Sicherheiten liquide genug sind und eine hohe Qualität haben. Sicherheiten von schlechter Qualität können im Insolvenzfall des Leihnehmers zu gravierenden Schäden bei den Anlegern führen. Daher gelten für ETFs nach UCITS-Regeln strenge Vorschriften für die Sicherheiten. - Fehlende Bereitschaft des ETF-Emittenten zu einem Schadensausgleich
Ist ein Schaden für den Anleger eingetreten, da die Sicherheiten keine ausreichende Qualität hatten und der Leihnehmer zahlungsunfähig geworden ist, gleicht der ETF-Emittent den Schaden nicht immer freiwillig aus. In der Regel wird er das aber tun, da er sonst langfristig einen Reputationsschaden erleidet und Anleger verliert. Aufsichtsrechtlich sind die Emittenten von ETFs nicht zu einem Ausgleich solcher Schäden verpflichtet. Es gibt jedoch einige Emittenten, die begrenzte Zusagen zu einem Schadensausgleich abgegeben haben. - Reinvestition der erhaltenen Sicherheiten
Der ETF-Emittent als Verleiher der Wertpapiere kann die ihm überlassenen Sicherheiten reinvestieren. Zumeist legt er sie in äußerst beständige Geldmarktprodukte an. Eine hundertprozentige Sicherheit ist auch dabei nicht gewährleistet, wie das Beispiel von Lehman Brothers im Zuge der Finanzkrise 2007 zeigte. - Unterschreitung der Übersicherungsquote
An einem einzigen Tag können sich die Marktwerte der verliehenen Wertpapiere und die überlassenen Sicherheiten so stark verändern, dass die Übersicherungsquote unterschritten wird. Das ist allerdings bei der Wertpapierleihe nur selten, beispielsweise, wenn eine ausgeliehene Aktie an einem einzigen Tag extrem stark steigt. - Abfall der Besicherungsquote unter 100 Prozent
Innerhalb eines Tages kann die Besicherungsquote unter 100 Prozent fallen. Dabei kann es passieren, dass der Leihnehmer am Ende dieses Tages nicht in der Lage ist, eine Nachsicherung mit der Überlassung weiterer Sicherheiten aus den vorhandenen wirtschaftlichen Ressourcen zu leisten. Allerdings ist das eher unwahrscheinlich, da die Leihnehmer gründlich auf ihre Bonität geprüft werden.
In der Praxis sind solche Risiken bei der Wertpapierleihe außerordentlich gering, denn sowohl an die Leihnehmer als auch an die zu überlassenden Sicherheiten gelten strenge Anforderungen.
Risiko der Wertpapierleihe erkennen und gering halten
Wie kannst Du als Anleger das Risiko der Wertpapierleihe erkennen und minimieren? Bevor Du in einen ETF investierst, solltest Du Dir die Fondsunterlagen genauer anschauen. Du kannst bereits vor der Investition Unterlagen zum ETF online abrufen. In diesen Unterlagen informiert der Emittent, wie hoch die Obergrenze für die Wertpapierleihe ist. Grundsätzlich dürfen nach den UCITS-Richtlinien alle in einem ETF enthaltenen Wertpapiere verliehen werden. Die großen Fondsgesellschaften wie Blackrock oder UBS haben ihre eigenen Obergrenzen gesetzt, bis zu denen eine Wertpapierleihe erfolgen kann. Das Ausfallrisiko ist für Anleger umso höher, je höher die Obergrenze für die Wertpapierleihe ist.
Grundsätzlich kannst Du als Anleger von der Wertpapierleihe profitieren, da die Kosten geringer ausfallen können und der ETF den Index in seiner Wertentwicklung übertreffen kann. Seriöse ETF-Emittenten informieren in ihren Unterlagen, in welchem Ausmaß sie die Wertpapierleihe vornehmen. Investierst Du in einen in Deutschland handelbaren ETF eines namhaften Emittenten, ist das Risiko der Wertpapierleihe gering. Viele Emittenten von in Deutschland angebotenen ETFs nehmen die Wertpapierleihe vor, doch achten sie darauf, das Risiko so gering wie möglich zu halten.
In jedem Fall solltest Du auf Transparenz achten, wenn Du in einen ETF investierst. Emittenten, die Wertpapierleihe betreiben, informieren monatlich oder quartalsweise über die Erträge, die sie damit erwirtschaften. Auch in ihrem Jahresbericht informieren sie über die damit erzielten Erträge. Sie informieren über den prozentualen Anteil der ausgeliehenen Vermögenswerte und über die Kosten zur Verwaltung des Programms. Informationen findest Du in den Unterlagen auch über die durchschnittliche Höhe der Überversicherung der Sicherheiten, die erhaltenen Sicherheiten und die Verteilung der Gewinne.
Welche ETF-Emittenten betreiben Wertpapierleihe?
Die Wertpapierleihe wird bei physisch replizierenden ETFs vorgenommen. Sie erfolgt vorrangig bei Aktien-ETFs und teilweise auch bei Anleihen-ETFs. Bei ETFs auf Rohstoffe, Edelmetalle, Kryptowährungen und Hedge-Fonds sind keine Wertpapiere vorhanden, daher gibt es auch keine Wertpapiere zum Verleihen. Allerdings erfolgt nicht bei allen physisch replizierenden ETFs auf Aktien oder Anleihen eine Wertpapierleihe. Sie wird nicht von allen Emittenten vorgenommen. Emittenten, die eine Wertpapierleihe vornehmen, sind
- iShares (Blackrock)
- Lyxor
- UBS, nur bei Aktien-ETFs
- Vanguard
- SDPR, nur bei einigen Aktien-ETFs.
Vorteile der Wertpapierleihe für Anleger
Du musst bei einem ETF von einem namhaften Emittenten, der Wertpapierleihe betreibt, kein großes Risiko befürchten. Du profitierst von einigen Vorteilen gegenüber ETFs, bei denen keine Wertpapierleihe erfolgt. Der wichtigste Vorteil besteht in möglichen zusätzlichen Einnahmen, die aus der Leihgebühr und der Reinvestition der vom Leihnehmer überlassenen Sicherheiten generiert werden können. Die Gebühren hängen von Angebot und Nachfrage ab. In verschiedenen Märkten, Sektoren und Regionen ist die Nachfrage periodisch bedingt unterschiedlich stark. Für illiquide Wertpapiere von kleineren Unternehmen fallen höhere Gebühren an als für niedrig verzinste Staatsanleihen. Mit dem Verleihen von Wertpapieren kann für den ETF auch ein Steuervorteil entstehen. Gibt der Leihnehmer der Wertpapiere Dividenden oder Zinszahlungen in Form von Gebühren an den ETF-Emittenten weiter, fallen auf diese Gebühren geringere Steuern an als auf Kapitalerträge. Für Anleger hat ein ETF mit Wertpapierleihe den Vorteil, dass er kostengünstiger sein kann und die Gesamtkostenquote geringer ist. Auch eine bessere Rendite ist zu erwarten.
Fazit: Wertpapierleihe beinhaltet nur geringes Risiko
Die Wertpapierleihe wird von verschiedenen ETF-Emittenten betrieben, um für den ETF eine bessere Performance zu erhalten und die Kosten zu senken. Das Risiko ist nur gering, da die Leihnehmer gründlich auf ihre Bonität geprüft werden und für die Sicherheiten, die der Leihnehmer hinterlegen muss, strenge Vorschriften gelten. Wird der Leihnehmer insolvent, kann der Emittent die ihm überlassenen Sicherheiten verkaufen. Als Anleger kannst Du von einer geringeren Gesamtkostenquote und einer verbesserten Rendite profitieren, da zusätzliche Einnahmen durch eine Leihgebühr generiert werden können. Nicht alle ETF-Emittenten verleihen die in ihren ETFs enthaltenen Wertpapiere.
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