Strukturwandel Weltwirtschaft: Deglobalisierung & Reshoring & ETF-Depot
Die Globalisierung tritt in eine neue Phase. Geopolitische Krisen und brüchige Lieferketten erzwingen einen Umbau der Weltwirtschaft. Dies schafft neue Gewinner in Sektoren wie Industrie und Automation und eröffnet Anlegern strategische Chancen.

Der große Umbau: Warum die Globalisierung eine Pause einlegt
Die Idee der grenzenlosen Globalisierung hat in den letzten Jahren einige Dämpfer erhalten. Der Wandel vollzieht sich nicht über Nacht, sondern ist das Ergebnis mehrerer parallel laufender Entwicklungen.
Zuerst wären da die geopolitischen Spannungen. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China hat unmissverständlich gezeigt, dass strategische Abhängigkeiten von einem einzigen Land ein enormes Risiko darstellen. Regierungen und Unternehmen haben verstanden, dass kritische Güter – von Halbleitern bis zu medizinischen Produkten – nicht allein aus der Hand potenzieller Rivalen stammen sollten.
Dann kam die Pandemie. Plötzlich standen Schiffe still, Häfen waren überlastet und Lieferketten rissen. Was zuvor nur ein theoretisches Risiko war, wurde zur schmerzhaften Realität. Ein Container, der im Suezkanal feststeckt, kann die Produktion in Europa wochenlang lahmlegen. Diese Erfahrung hat die Verletzlichkeit des "Just-in-Time"-Modells brutal offengelegt und den Ruf nach widerstandsfähigeren, kürzeren Lieferketten verstärkt.
Schließlich greift auch die Politik aktiv ein. Mit milliardenschweren Programmen wie dem US-amerikanischen "Inflation Reduction Act" (IRA) und dem "CHIPS Act" oder dem "NextGenerationEU"-Fonds in Europa werden gezielt Anreize geschaffen, die Produktion in strategisch wichtigen Sektoren zurückzuholen. Es geht um grüne Technologien, Halbleiter, Batterien und die Pharmaindustrie. Das Ziel: technologische Souveränität und die Schaffung heimischer Arbeitsplätze. Man spricht hier von Reshoring (Rückverlagerung ins Heimatland) oder Nearshoring (Verlagerung in geografisch nahe Länder, z.B. von China nach Mexiko oder Osteuropa).
Zahlen, bitte! Hype trifft auf harte Fakten
Die Debatte um die Deglobalisierung ist laut. Doch was sagen die Daten? Ist es nur ein Trendthema für die Wirtschaftspresse oder ein handfester Umbau der globalen Architektur? Die Antwort liegt, wie so oft, irgendwo dazwischen.
Einerseits ist die Bereitschaft zum Wandel enorm. Studien zeigen, dass über die Hälfte der international tätigen Unternehmen ihre Standorte und Lieferketten bereits anpassen oder dies konkret planen. Mehr als 70 % suchen aktiv nach neuen oder zusätzlichen Lieferanten, um Risiken zu streuen. Die Notwendigkeit ist also in den Chefetagen angekommen.
Andererseits ist die tatsächliche Umsetzung ein langsamer Prozess. Nur etwa 15 % der Unternehmen haben bisher wirklich Produktionskapazitäten zurückverlagert. Der Kearney Reshoring Index für die USA, ein wichtiger Gradmesser, ist im Jahr 2025 sogar um 311 Punkte gefallen. Das zeigt: Trotz aller Pläne bleibt die globale Arbeitsteilung vorerst Realität. Die Importe in die USA aus 14 asiatischen Niedriglohnländern sind zuletzt sogar um 10 % gestiegen, während die Exporte der direkten Nachbarn Kanada und Mexiko sanken. Die Welt ist eben doch komplexer als eine einfache "Heimatholen"-Parole.
Doch es gibt unübersehbare Zeichen für reale Investitionen. Seit der Verabschiedung der großen US-Förderprogramme Mitte 2022 haben sich die Bauausgaben für neue Produktionsanlagen in den USA mehr als verdoppelt. Hier fließt echtes Geld in Beton und Stahl. Es entstehen neue Fabriken für Chips, Batterien und Elektroautos. Das ist kein Hype, das sind Fakten, die langfristig die Wirtschaftsstruktur verändern werden.
Gewinner und Verlierer: Sektoren und Regionen im Fokus
Dieser Strukturwandel verteilt die Karten neu. Es gibt klare Profiteure und einige, die vor Herausforderungen stehen. Als Anleger musst du verstehen, wo die Reise hingehen könnte.
Potenzielle Gewinner:
- Industrie und Maschinenbau in den Industrieländern: Unternehmen, die Fabriken bauen, ausstatten und automatisieren, stehen auf der Sonnenseite. Wenn in den USA und Europa neue Produktionsstätten entstehen, brauchen sie Maschinen, Software und Infrastruktur.
- Automation und Robotik: Die Produktion im Westen ist teurer, vor allem wegen der Lohnkosten. Die logische Konsequenz ist ein massiver Schub bei der Automatisierung. Unternehmen, die hier Lösungen anbieten, haben goldene Aussichten.
- Grüne Technologien und Halbleiter: Diese beiden Sektoren werden massiv subventioniert. Unternehmen aus den Bereichen Solar, Windkraft, Batterietechnik und Chipdesign, die in den USA oder Europa produzieren, erhalten direkten politischen und finanziellen Rückenwind.
- Infrastruktur: Neue Fabriken brauchen Straßen, Stromnetze, Logistikzentren und digitale Anbindungen. Unternehmen, die diese Infrastruktur planen, bauen und betreiben, profitieren direkt vom Reshoring-Trend.
- Ausgewählte Schwellenländer (Nearshoring-Profiteure): Nicht alle Schwellenländer leiden. Länder wie Mexiko, Vietnam oder osteuropäische Staaten könnten als alternative Produktionsstandorte für den US-amerikanischen und europäischen Markt an Bedeutung gewinnen.
Potenzielle Herausforderer:
- Exportorientierte Schwellenländer: Insbesondere Länder, die stark von der Rolle als "Werkbank der Welt" abhängig sind, könnten unter Druck geraten, wenn ihre Kunden die Produktion verlagern. China ist hier das prominenteste Beispiel, aber auch andere asiatische Staaten sind betroffen.
- Globale Logistikunternehmen: Reedereien, die auf die langen Routen zwischen Asien und dem Westen spezialisiert sind, könnten geringere Volumina sehen, wenn sich die Handelsströme verlagern.
- Unternehmen mit starren Lieferketten: Firmen, die es versäumen, ihre globalen Lieferketten widerstandsfähiger zu machen, riskieren höhere Kosten und Produktionsausfälle.
Was bedeutet das konkret für dein ETF-Depot?
Die meisten von uns sind mit einem breit gestreuten Welt-ETF wie dem MSCI World oder FTSE All-World unterwegs. Das ist und bleibt eine exzellente Basisstrategie. Doch der Strukturwandel könnte die Gewichte in diesen Indizes langfristig verschieben – und vielleicht ist die aktuelle Zusammensetzung nicht perfekt für die Zukunft aufgestellt.
Ein Standard-Welt-ETF ist nach Marktkapitalisierung gewichtet. Das bedeutet, du investierst am meisten in die aktuell größten Unternehmen. Dieser Ansatz hat in der Ära der Globalisierung, die von US-Tech-Giganten dominiert wurde, hervorragend funktioniert. Doch was, wenn die nächsten Gewinner nicht die aktuellen Riesen sind, sondern mittelständische Industrieunternehmen aus den USA, deutsche Automatisierungsspezialisten oder europäische Green-Tech-Firmen? Ein marktgewichteter ETF wird diese Entwicklung nur langsam nachvollziehen.
Zudem könnte der Trend zu regionaleren Lieferketten kurz- bis mittelfristig zu höheren Kosten und damit zu einer höheren Inflation führen. Effizienz weicht Resilienz – und das hat seinen Preis. Dies könnte die Gewinnmargen vieler globaler Konzerne schmälern und das Gesamtwachstum etwas dämpfen.
Was kannst du also tun? Es geht nicht darum, dein gesamtes Depot über den Haufen zu werfen. Es geht um eine strategische Justierung am Rande. Denk über folgende Punkte nach:
- Regionale Gewichtung prüfen: Dein Welt-ETF hat bereits einen hohen US-Anteil von oft über 60 %. Das ist gut, denn die USA sind ein Hauptprofiteur des Reshoring. Du könntest aber überlegen, ob eine Beimischung von ETFs auf europäische oder japanische Industrieunternehmen Sinn ergibt, um die dortigen Initiativen ebenfalls abzubilden.
- Thematische Akzente setzen: Dies ist der naheliegendste Weg. Du kannst dein Basis-Portfolio durch Satelliten-Investments in Themen-ETFs ergänzen, die direkt von den beschriebenen Trends profitieren. Denkbar wären ETFs auf die Sektoren Infrastruktur, Automation & Robotik, Clean Energy oder Halbleiter.
- Schwellenländer neu bewerten: Ein hoher China-Anteil im Schwellenländer-ETF könnte zum Klumpenrisiko werden. Vielleicht ist ein "Emerging Markets ex-China"-ETF eine Überlegung wert, um die Abhängigkeit von der zweitgrößten Volkswirtschaft zu reduzieren und das Kapital auf andere aufstrebende Regionen zu verteilen.
- Small & Mid Caps im Blick behalten: Die Gewinner von morgen sind oft die mittelgroßen Unternehmen von heute. Ein ETF auf US- oder europäische Small- und Mid-Cap-Unternehmen könnte eine gute Möglichkeit sein, die dynamischeren und agileren Profiteure des Wandels ins Depot zu holen.
Fazit: Keine Panik, aber ein wachsames Auge
Die Ära der Hyper-Globalisierung mag vorbei sein. Die Weltwirtschaft wird nicht vollständig deglobalisiert, aber sie wird fragmentierter, regionaler und politischer. Für dich als ETF-Anleger bedeutet das nicht, dass deine Strategie falsch ist. Es bedeutet, dass du die neuen Spielregeln verstehen und dein Portfolio möglicherweise feinjustieren musst.
Dieser Wandel ist ein Marathon, kein Sprint. Es gibt keinen Grund für überhastete Aktionen. Aber es gibt jeden Grund, das eigene Depot kritisch zu hinterfragen. Ist es noch optimal auf die Welt von morgen ausgerichtet? Spiegelt es die Chancen wider, die sich aus dem größten Umbau der Weltwirtschaft seit Jahrzehnten ergeben?
Schau dir deine Allokation an. Verstehe, in welche Regionen und Sektoren du investiert bist. Und überlege, ob ein paar gezielte thematische oder regionale Akzente dein Portfolio für die Zukunft nicht nur stabiler, sondern auch schlagkräftiger machen können. Denn die Welt dreht sich weiter – und dein Depot sollte es auch tun.
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